Schon mal versucht, jemandem die Funktionen der DNA Replikation, der Transkription und der Translation zu erklären? Als Biologin stecke ich manchmal so tief in der Materie, dass ich beim Erklären eines Sachverhalts meines Fachgebiets vergesse, das Verständnis meines Gegenübers in den Vordergrund zu stellen.
Was nützt es einer Person, wenn ich den Prozess der DNA Replikation erkläre, aber der Person nicht verständlich mache, warum dieser Prozess notwendig ist? Jede Person kann die ganze Maschinerie der Transkription & Translation auswendig lernen, aber spätestens nach der Klausur ist das auswendiggelernte Wissen weg. Wenn doch nur zumindest der Zweck dieser Prozesse hängenbleiben würde, wäre schon viel erreicht.
Ich habe letztens versucht, die Prozesse der DNA Replikation, Transkription und Translation einer Person zu vermitteln, die schon seit einer Weile keine Berührung mehr mit diesen Themen hatte.
Im Laufe meiner Erklärungsversuche wurde mir wieder vor Augen geführt, wie wichtig es ist, sich zu vergegenwärtigen, wer mein Publikum ist. Welches Wissen bringt es mit? Das ist entscheidend bei der Frage, wie ich einen Sachverhalt am besten vermitteln kann. Kennt ihr das: Als Experte in einem Thema passiert es oft, dass wir schnell einen Punkt der Frustration erreichen, wenn wir das Gefühl haben, unser Gegenüber würde unsere Erklärungen nicht verstehen? Wir müssen uns bewusst werden, dass die Problematik oft genug auf unsere Seite liegt: Wir haben nicht gelernt, das Publikum und sein Vorwissen in den Vordergrund zu stellen. Beim Erklären eines Sachverhalts ist die schwierigste Frage nicht die Frage des Gegenübers sondern die Frage, wie vermittle ich als Erklärende mein Wissen am besten an das derzeitige Publikum? Denn Schlussendlich geht es mir darum, nicht mein Wissen oder mich in den Vordergrund zu stellen, sondern die fragende Person.
Ich habe mal versucht, meine Erklärungen zu den Themen DNA Replikation, Transkription und Translation zu rekonstruieren und hier (in verbesserter Form) festzuhalten. Es wäre schön, wenn ihr mir eure Meinung dazu sagen könntet, vielleicht sogar eure eigene Version der Prozesse?
DNA Replikation:
Bevor wir ins Detail gehen, einige wichtige Fragen überhaupt:
Weißt du, was die DNA ist?
Stelle dir die DNA wie eine Bibliothek vor. Du betrittst die Bibliothek und siehst viele Regale. Aber in den Regalen sind anscheinend keine Bücher drin sondern etwas anderes. Du gehst auf das Regal mit der Nummer 15 zu und siehst, dass das Regal vollgestopft ist mit großen weißen Blättern, dicht an dicht. Du bist neugierig und ziehst vorsichtig ein großes Blatt heraus. Es ist ein Bauplan! Aber anstatt eines Bauplans eines Gebäudes zeigt dir dieser Bauplan, wie du braune Augen bekommst. Du legst den Bauplan zurück und gehst weiter zum Regal mit der Nummer 8. Hier ziehst du ein weiteres Blatt heraus und findest einen Bauplan der erklärt wie du es schaffst, 1.60 Meter groß zu werden.
So ungefähr kannst du dir die DNA vorstellen: Eine Riesenbibliothek mit vielen Bauplänen, in denen steht, wie der Körper gebaut wird. Die Baupläne stehen für die sogenannten Gene, von denen es sehr viele gibt. Die Gene sind aber nicht einfach irgendwo in der Bibliothek verstreut: sie sind geordnet und haben alle ihre Stammplätze.
Du gehst jetzt die ganzen Regale entlang und zählst die Nummern ab. Du zählst 46 Regale, aber je zwei nebeneinander stehende Regale sind mit derselben Nummer versehen, also finden sich nur die Zahlen 1-23 auf den Regalen wieder.
Du gehst auf die zwei Regale mit der Nummer 8 nochmal zu und schaust dir den Bauplan für deine Körpergröße in dem vorherigen Regal nochmal genauer an. An der gleichen Stelle im gegenüberliegenden Regal mit derselben Nummer ziehst du auch einen Bauplan heraus. Du hältst die beiden Baupläne nebeneinander und vergleichst sie miteinander. Beide sehen größtenteils gleich aus. Aber an einer Stelle sind sie etwas anders. Der eine Bauplan erklärte ja, wie du die Körpergröße 1.60 Meter erreichen kannst. Der andere Bauplan von der gegenüberlegenden Seite erklärt dir aber, wie du die Körpergröße 1.90 Meter erreichen kannst.
Wenn du die weiteren Baupläne aus den beiden Regalen mit der Nummer 8 vergleichst, wirst du sehen, dass an der gleichen Stelle aber im gegenüberliegenden Regal eine identische Kopie oder eine ähnliche Kopie mit einer kleinen Veränderung existiert. So ist es auch bei den anderen Regalen mit den gleichen Nummern.
So ist das mit der DNA in den meisten deiner Körperzellen. Die DNA ist die gesamte Bibliothek. Von den Genen gibt es immer zwei Kopien, eine Kopie ist in einem speziellen Regal, die zweite Kopie im gegenüberliegenden Regal. Von den Regalen gibt es 46, die aber immer paarweise angeordnet sind, so dass es also 2 x 23 Regale sind. Diese Regale sind ein Metapher für die sogenannten Chromosomen.
Wir Menschen haben 46 Chromosomen, die paarweise wie die Regale angeordnet sind. Bei den Menschen sind ungefähr 35.000 Gene bekannt. Wenn diese Bibliothek also deine DNA darstellt, befinden sich hier also 35.000 Baupläne und das in doppelter Ausführung, also 2 x 35.000 = 70.000 Baupläne!
Schon beeindrucken, oder? In fast jeder deiner Zellen findet sich so eine DNA-Bibliothek. Eine Ausnahme bilden deine Geschlechtszellen, also deine Eizellen oder Spermien. Hier findest du nur 23 Regale und jedes Gen ist nur in einfacher Ausführung da, also keine Kopie. Warum das so ist, erzähle ich dir später.
Du hast dir bestimmt schon mal in die Finger geschnitten. Bei so einer Verletzung gehen die Zellen kaputt. Dein Körper weiß sich aber zu heilen und nach kurzer Zeit verschließt sich die Wunde. Was hat der Körper nun gemacht? Er hat aus den alten intakten Zellen um die Wunde herum neue Hautzellen gemacht. Dabei haben sich intakte Zellen neben der Wunde geteilt: aus eins mach zwei! Damit das möglich ist und beide Zellen die selbe DNA, also die selbe Bibliothek besitzen, muss die Zelle ihre Bibliothek verdoppeln und auf die neuentstehenden Zellen aufteilen. Dieser Prozess nennt sich DNA Replikation und da sind wir schon bei der nächsten Frage:
Weißt du, was das Wort Replikation bedeutet?
Es bedeutet nichts anderes als kopieren. Das Wort ist angelehnt an das englische Wort replicate, also kopieren. Das Wort beschreibt den Vorgang, wie eine Zelle ihre DNA-Bibliothek verdoppelt.
Wozu müssen wir denn die DNA vervielfältigen?
Warum die DNA kopiert werden muss, habe ich dir im Beispiel oben erklärt. Viele deiner Körperzellen leben nicht ewig. Viele von ihnen haben sogar eine sehr kurze Lebensdauer. Deine Magenzellen leben z.B. maximal 2 Tage! Damit du aber nicht irgendwann ohne Magenzellen dastehst, muss dein Körper immer für Nachschub sorgen. Das schafft er, indem Zellen sich teilen. So hast du eine Zelle, die sich in zwei Magenzellen teilt. Damit die beiden neuen Zellen aber die selbe Information, also die selbe DNA-Bibliothek besitzen, muss diese Zelle ihre DNA-Bibliothek zunächst einmal verdoppeln und beim Teilen dann jeder der neu entstehenden Zellen je eine der Kopien der Bibliothek mit auf den Weg geben.
Damit die DNA verdoppelt wird, braucht es viele Mitarbeiter, die Fachleute sind, um die ganze Bibliothek exakt zu kopieren. Neben den Fachleuten gibt es auch Assistenten, die bei dem Kopieren helfen. So eine große Bibliothek zu kopieren ist nicht einfach und manchmal machen die Fachleute trotzdem Fehler. Damit der Fehler nicht einfach so an die zukünftigen Zellen weitergegeben wird, gibt es auch hier Fachleute, die die Arbeit mehrmals kontrollieren. Wenn sie einen Fehler entdecken, versuchen sie ihn zu korrigieren.
Wurde die ganze Bibliothek nun durch die vielen Helfer verdoppelt, kann die Zelle sich endgültig teilen und je eine der beiden Bibliotheken an die beiden neuen Zellen weitergeben.
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Zellteilung von P. Fernandez, M. Maier, M. Lindauer, C. Kuffer, Z. Storchova und A Bausch. Lizenz: Creative Commons Attribution 2.5 Generic; unverändert; Die Originaldatei ist hier zu finden.
Transkription & Translation
Transkiption
Wir haben jetzt verstanden, dass unsere DNA wie eine große Bibliothek ist, in der die ganzen Informationen u.a. für unseren Körperbau in Form von Bauplänen zu finden sind. Die Informationen sind wichtig, aber wie kommen wir nun zu dem Körper? Zum Beispiel: wie wird nun eine Magenzelle gemacht? So eine Magenzelle besteht ja schließlich nicht nur aus Bauplänen.
Stellen wir uns so eine Magenzelle wie eine Wohnung vor. Diese Wohnung hat mehrere Räume, sie hat Wände und zu einer Wohnung gehören auch Tische, Stühle, Lampen und viele weitere Möbelstücke. All diese Gegenstände, von den Wänden bis zum letzten Möbelstück müssen ja hergestellt werden. Die Informationen, wie sie hergestellt werden, befinden sich in den Bauplänen und diese Baupläne befinden sich in unserer DNA-Bibliothek.
Versuchen wir jetzt unsere Metapher von der DNA-Bibliothek auf eine Wohnung mit mehreren Zimmern zu übertragen. Zum Einrichten dieser Wohnung sind die Baupläne und damit die DNA-Bibliothek für dich das Wichtigste, denn ohne sie geht gar nichts. Damit nicht alles drunter und drüber geht und nicht jede Person hier reinpfuschen kann, muss die DNA-Bibliothek an einem sicheren Ort untergebracht und der Zugang eingegrenzt werden. Also nur ausgewählte Personen wie Bibliothekare dürfen hier rein! So eine Eingrenzung ist wichtig, sonst kann ja jede Person rein und in die Baupläne reinkritzeln oder fremde Baupläne in die Regale reinschmuggeln. Und wenn du jetzt in deiner DNA-Bibliothek beginnst, deine Möbelstücke oder das Material für deine Wand herzustellen, willst du nicht wissen, was für ein Chaos an diesem wichtigen Ort ausbrechen würde. Eine Baustelle willst du hier nun wirklich nicht haben. Also suchst du dir in der Wohnung (eine Metapher für unsere Zelle) einen Raum extra nur für deine DNA-Bibliothek aus und versiehst den Zutritt mit strengen Einschränkungen. Dieser Raum ist der Zellkern. In einer Zelle wie deiner Magenzelle wird die DNA-Bibliothek dort verwahrt.
Du verlässt jetzt den Zellkern und gehst in dein Wohnzimmer wobei du dir denkst, dass du hier ein paar Möbel brauchst. Für die Herstellung der Möbel hast du extra Fachleute angestellt. Aber diese Fachleute dürfen nicht den Raum mit deiner DNA-Bibliothek betreten. Die Fachleute brauchen aber zur Herstellung der Möbel die Baupläne, denn ohne sie wissen sie nicht, was du brauchst und wie der Gegenstand gebaut wird! Die Originalbaupläne in deiner DNA-Bibliothek willst du aber auch nicht einfach so hergeben. Was würde passieren, wenn die Originalbaupläne verloren gehen?! Nein, nein, hier läuft es nicht so wie bei einer gewöhnlichen Bibliothek, wo du ein Buch ausleihen kannst. Damit du den Originalbauplan immer in deiner Bibliothek hast, denkst du dir eine andere Strategie aus. Du machst eine Kopie nur von dem einen Bauplan, der gerade benötigt wird und diese Kopie gibst du den Fachleuten für die Herstellung der Möbel! Und hier kommen wir zur Transkription.
Die Transkription beschreibt den Vorgang, bei dem die Zelle eine Kopie von den Originalbauplänen (von den Genen) in der DNA-Bibliothek im Zellkern macht und diese Kopie aus dem Zellkern heraus bringt. Ähnlich wie du Möbel für die Wohnung brauchst, braucht die Zelle spezielle Proteine, z.B. eine Art „Scherenprotein“, das wie eine Schere funktioniert um andere Proteine zu schneiden. Im Zellkern ist der Bauplan für die Herstellung eines Scherenproteins in der DNA-Bibliothek vorhanden. Das Scherenprotein wird ja aber nicht im Zellkern hergestellt sondern außerhalb, sagen wir mal im Wohnzimmer. Also wird im Zellkern der Bauplan für das Scherenprotein kurz herausgeholt und kopiert. Der Originalplan wird feinsäuberlich wieder zurück ins Regal gelegt und die Kopie wird zum Wohnzimmer geschickt, damit die Fachleute wissen wie ein Scherenprotein gebaut wird. Und damit haben wir die Transkription auch schon grob erklärt.
Translation
Was danach folgt, ist ja logisch. Die Fachleute im Wohnzimmer bauen anhand der Kopie dein gewünschtes Möbelstück. Die Materialien hast du bereits im Wohnzimmer rumliegen, z.B. Holz, Polster, Kleber und und und.
Für unsere Zelle heißt das: Anhand der Kopie des Gens aus der DNA-Bibliothek wird ein Scheren-Protein hergestellt. Dafür werden Materialien verwendet, die in der Zelle bereits vorhanden sind. Das sind in diesem Fall Aminosäuren. Die hat die Zelle entweder schon vorher hergestellt oder manche, die sie nicht selber herstellen kann, durch Nahrung aufgenommen und die Aminosäuren aus der Nahrung in der Zelle zur Verfügung gestellt. So ist die Zelle in der Lage, viele Proteine herzustellen, die für ihre Funktionen wichtig sind. Schau dir z.B. die Wände einer Zelle an, die sogenannte Zellmembran. Eine Zelle hat ähnlich wie eine Wohnung eine Wand, die sie von der Umgebung und von anderen benachbarten Zellen trennt. Die Zellwand besteht aus Material, das von der Zelle andauernd hergestellt werden muss.
Erinnerst du dich an das Beispiel der Zellteilung? Wenn eine Zelle sich teilt, wird nicht nur die verdoppelte DNA-Bibliothek auf die neu entstehenden Zellen aufgeteilt. Die ursprüngliche Zelle teilt auch ihre Materialen wie die Zellmembran auf die neuen Zellen auf. Die zwei neuen Zellen haben also auch etwas von den Proteinen der ursprünglichen Zellmembran. Aber sie müssen selber noch etwas dazu beitragen und mehr Proteine für ihre neue Wand herstellen, sonst würden die Zellen bei jeder Teilung kleiner und kleiner werden. Und damit haben wir auch schon die Translation grob durch.
So weit zu den wichtigsten und grundlegendsten Informationen zu den Themen DNA-Replikation, Transkription und Translation.
Für diejenigen, die es bis hierher geschafft haben und noch einige interessante Details mitnehmen möchten, habe ich 3 weitere Punkte, die ihr euch vielleicht anschauen wollt.
Es geht um die Fragen nach
- dem Grund, warum Eizellen und Spermien Gene nur in einfacher Ausführung und nicht in doppelter Ausführung haben und
- dem 23. Regalpaar, das unser genetisches Geschlecht bestimmt
- dem Grund, warum wir unterschiedliche Zellen haben, obwohl in jeder Zelle die selbe Information vorhanden ist.
Wenn ihr Lust habt, lest einfach weiter:
Warum haben Eizellen und Spermien nur 23 Chromosomen und die Gene in einfacher Ausführung?
Ich habe oben ja erwähnt, dass fast alle deine Körperzellen 46 Chromosomen haben, die paarweise geordnet sind, also 2 x 23 Chromosomen und deine Gene dadurch in zweifacher Ausführung bei dir vorhanden sind. Ausnahmen bilden Eizellen und Spermien. Sie haben nur 23 Chromosomen, von jedem Gen gibt es nur eine Kopie! In unseren Metaphern gesprochen: Wir haben nur 23 Regale, von jedem dieser Regale gibt es keine weitere Kopie, die Baupläne gibt es auch nur ein einziges Mal! Hier fand die Teilung in Eizellen und Spermienzellen so statt, dass jede Eizelle und jedes Spermium nur 23 Regale mit einfache Ausführung jedes Bauplans besitzt. Während der Teilung in Eizellen und Spermien wurde die DNA nicht verdoppelt. Es fand keine DNA Replikation statt. Das ist wichtig! Denn wenn eine Eizelle und ein Spermium zusammen kommen und ein Embryo daraus entsteht, werden die 23 Regale der Eizelle und die 23 Regale des Spermiums zusammen getan und das ergibt für den neu entstehenden Embryo wieder 46 Regale, die dann paarweise angeordnet werden. Würden die Eizellen weiterhin 46 Chromosomen haben und die Spermien auch, würde beim Verschmelzen der Eizelle und des Spermiums ein Embryo mit 92 Regalen entstehen und so ein Embryo ist gar nicht überlebensfähig!
Manchmal passiert es, dass ein spezielles Regalpaar bei der Teilung sich doch nicht trennt. Das kennen wir beim Down Syndrom, welches auch Trisomie 21 genannt wird. Hier haben sich bei einem der Elternteile in den Geschlechtszellen die zwei Regale mit der Nummer 21 nicht ordentlich getrennt. Wenn danach die Eizelle und das Spermium zusammen kommen, haben wir zwei Regale der Nummer 21 von dem einen Elternteil und ein Regal 21 von dem anderen Elternteil und somit im Embryo drei Regale mit der Nummer 21. Das Chromosom Nummer 23 ist eine der wenigen Ausnahmefälle, in denen es möglich ist, dass eine unvollständige Trennung der Regale zu einem lebensfähigen Embryo führt. Bei den meisten anderen Fällen ist der Embryo nicht überlebensfähig.
Chromosomenpaar 23 bestimmt u.a. unser genetisches Geschlecht
Nun kommen wir zu unserem Chromosomenpaar 23 bzw. den zwei Regalen mit der Nummer 23, die ja in unserer Vorstellung die Chromosomenpaare repräsentieren.
Je nachdem, ob du dir Zellen von Frauen oder von Männern ansiehst, wirst du zwei verschiedene Szenarien sehen. Bei Zellen einer Frau sehen die beiden Regale mit der Nummer 23 gleich aus. Sie unterscheiden sich nicht.
Bei Zellen eines Mannes sieht eines der beiden Regale viel kleiner aus und die Baupläne der beiden Regale sind auch nicht alle gleich. Die beiden Regale Nummer 23 stehen für die Geschlechtschromosomen. Sie bestimmen bis zu einem hohen Grad unser genetisches Geschlecht. Bei Frauen sprechen wir von zwei X-Chromosomen, bei Männern von einem X-Chromosom und einem Y-Chromosom.
Schauen wir uns eine andere Szene an: Ein Tatort, ein Verbrechen, die Täterin oder der Täter sind entkommen. Die Person hat lediglich eine Spur hinterlassen. Diese Spur kann aus Blut oder Hautzellen der verdächtigen Person bestehen. Hierzulande ist es im Rahmen von forensischen Ermittlungen erlaubt, die DNA-Bibliothek der verdächtigen Person zu untersuchen und das Geschlecht zu ermitteln. Dabei schauen die Forensiker nach, ob ein Y-Chromosom bzw. ein besonderer Bereich des Y-Chromosoms vorhanden ist oder nicht. Ist der Bereich aus dem Y-Chromosom nicht vorhanden, handelt es sich wahrscheinlich um eine Täterin, ist er aber vorhanden, handelt es sich wahrscheinlich um einen Täter.
In meinem letzten Satz habe ich jetzt oft das Wort wahrscheinlich benutzt. Das liegt daran, dass es bei den Ergebnissen lediglich um die Bestimmung des genetischen Geschlechts geht und nicht um das soziale Geschlecht. Aber auch das genetische Geschlecht ist eigentlich nicht so einfach zu definieren. Wenn ihr mehr dazu erfahren wollt, schaut euch den Artikel „Intersexualität: Die Neudefinition des Geschlechts“ von Claire Ainsworths an.
Und jetzt zu der interessantesten Frage überhaupt:
Warum entwickeln sich Zellen unterschiedlich trotz gleicher DNA-Bibliothek?
Wenn alle unsere Körperzellen dieselbe DNA-Information haben, warum haben wir dann so viele unterschiedliche Zellen? Woher weiß eine Zelle, dass sie eine Magenzelle ist und nicht eine Herzzelle, wo doch beide die gleiche DNA-Bibliothek besitzen? Woher weiß eine Nervenzelle, dass sie sich nicht wie eine Knochenzelle verhalten darf?
Schauen wir uns mal die DNA-Bibliothek einer Nervenzelle und einer Knochenzelle genauer an.
Zunächst einmal besuchen wir die DNA-Bibliothek der Nervenzelle. Beim Betreten der Bibliothek sieht erstmal alles so aus, wie du es auch von anderen DNA-Bibliotheken anderer Zellen kennst. Jetzt gehst du zu einem der Regale und dir fällt auf, dass an einigen Stellen die Baupläne viel dichter aneinander gequetscht sind als anderswo. Du versuchst einen Bauplan aus diesem dichten Bereich heraus zu nehmen, aber egal wie sehr du ziehst, du schaffst es nicht. Du kannst dir diese Baupläne einfach nicht herausnehmen und sie lesen! Probeweise gehst du zu einem Bereich, wo die Baupläne nicht so dicht an dicht liegen und versuchst, einen heraus zu nehmen. Es gelingt dir ohne Mühe. So sieht es auch bei anderen Regalen in der DNA-Bibliothek der Nervenzelle aus. Es gibt einfach Bereiche in den Regalen, da sind die Baupläne so extrem zusammen gepackt, dass du sie nicht herausnehmen und lesen kannst. Du versuchst, an den Bauplänen hinter sie zu greifen und ertastest eine Art Klammer, die sie zusammen zu quetschen scheint und nur in den gepackten Bereichen zu spüren ist. Du merkst dir die dichten Stellen und gehst jetzt zu der DNA-Bibliothek der Knochenzelle. Auch hier sieht erstmal alles wie gewohnt aus, aber wenn du zu den Stellen gehst, die in der DNA-Bibliothek der Nervenzelle doch dich gepackt waren, merkst du, dass diese Stellen hier lockerer verpackt sind, so dass du die Baupläne ganz leicht herausnehmen kannst. Dafür sind jetzt andere Stellen in dieser DNA-Bibliothek extrem dicht gepackt.
So verhält es sich bei deinen Zellen auch. Eine Knochenzelle braucht nicht alle Informationen aus der Bibliothek. Informationen, die wichtig sind für Nervenzellen oder Herzzellen, sind in einer Knochenzelle so dicht gepackt, dass eine Knochenzelle diese Informationen gar nicht lesen kann. Ähnlich wie bei den Klammern, die die Baupläne in unserer Metapher dicht verpackt und unzugänglich halten, besitzen Zellen auch Methoden, wie sie DNA-Bereiche dicht verpacken und damit unzugänglich machen können. Die Zelle kann diese Baupläne gar nicht herausnehmen und sie ablesen. Und weil diese Informationen nur für andere Zellen ablesbar sind, kann die Knochenzelle gar nichts damit anfangen und liest nur die Informationen, auf die sie Zugriff hat. Diese Informationen ohne eine Zugriffseinschränkung geben einer Knochenzelle die Anweisung, wie die Zelle sich als Knochenzelle zu verhalten hat. Genauso verhält es sich mit anderen DNA-Bibliotheken anderer Zelltypen. Die DNA-Bibliothek ist zwar in allen Zellen gleich, aber die Zellen haben nicht Zugriff auf alle Informationen und können nicht alle Baupläne ablesen. So lesen sie nur das, was für sie erreichbar ist und verhalten sich auch so, wie ihnen diese restlichen Informationen das verordnen. Hier sind wir jetzt in einem spannenden Bereich der Genetik angelangt, der sich Epigenetik nennt und an dem gerade viel geforscht wird