Ich bin eine wütende Frau. Ich gehe durch das Leben und verspüre eine permanente Wut im Bauch, mal weniger, mal mehr.
Ich bin wütend, dass du über das Ausmaß der Diskriminierung überrascht bist, obwohl so viele Nachweise existieren wie Sand am Meer.
Ich bin wütend, weil ich mir die Zeit und Kraft nehme, für dich nach Quellen für Diskriminierung zu recherchieren, obwohl die Diskriminierung auf deinem Mist gewachsen ist.
Ich bin wütend, dass ich für dich Aufklärungsarbeit leiste, obwohl es deine Aufgabe wäre, ein aufgeklärter Mensch zu sein.
Ich bin wütend, dass du mich als temperamentvoll bezeichnest, mir sagst, ich solle nicht wütend oder emotional werden und dass wir doch stattdessen eine ruhige und sachliche Diskussion führen könnten.
Ich bin wütend, dass du dir deiner bequemen Machtposition und meiner benachteiligten Position nicht bewusst bist oder sein willst, während du dies zu mir sagst.
Ich bin wütend, dass Argumente gegen Diskriminierung aus deinem Mund mehr wert sind, du eher gehört und respektiert wirst, als wenn ich die Argumente vorbringe.
Ich bin wütend, dass ich dir überhaupt die Fakten vorbringen muss, wo doch die ausgeübte Diskriminierung und deren negative Folgen zu Haufen zu finden sind.
Ich bin wütend, dass ich dir die Vorzüge von Diversität schmackhaft machen muss, damit du gegen Diskriminierung bist.
Ich bin wütend, dass ich in Begleitung meines deutschen Partners in deinen Augen aufgewertet werde, dass ich als besser integriert und assimiliert gesehen werde, als wenn ich alleine auftauche.
Ich bin wütend, dass mein Atheismus mich in deinen Augen aufwertet und dass du erleichtert „Gott sei Dank, ich dachte schon du seist Muslimin“ sagst und du mir das Gefühl gibst, als Muslimin wäre ich ein minderwertigerer Mensch.
Ich bin wütend, dass deine Erleichterung über mein Dasein als Atheistin den Eindruck vermittelt, meine Familie und meine FreundInnen wären in deinen Augen weniger wert.
Ich bin wütend, dass ich das Gefühl habe, vor dir verbergen zu müssen, dass meine Familie und FreundInnen MuslimInnen sind.
Ich bin wütend, dass ich den Drang verspüre, meine FreundInnen und Familienangehörigen mit Kopftuch vor dir verstecken zu müssen: weil du mir Scham für sie einpflanzt, weil ich mich für diese Scham wiederum schäme und weil ich sie vor deinem abschätzigen Blick beschützen möchte.
Ich bin wütend, dass du dich in deinen Vorurteilen gegenüber meiner Kultur bestätigt fühlst, wenn ich dir davon erzähle, dass ich als Jugendliche gezwungen war, ein Kopftuch anzuziehen.
Ich bin wütend, dass deine Vorurteile dafür gesorgt haben, dass ich Männern aus meinem Kulturkreis misstrauischer gegenüberstehe, obwohl Misogynie auch in deiner Kultur noch tief verwurzelt ist.
Ich bin wütend, dass ein Fehler von uns PoC zu schärferen Repressalien führt als wenn du einen Fehler begehst.
Ich bin wütend, dass Femizid in meiner Kultur als Ehrenmord bezeichnet wird, aber Femizid in deiner Kultur als eine Familientragödie betitelt wird.
Ich bin wütend, dass Misogynie vor Gericht in Deutschland bei männlichen PoC stärker bestraft wird als bei weißen Männern.
Ich bin wütend, dass du mir das Gefühl vermittelst, meine Mutter als Hausfrau wäre unterdrückt, obwohl deine Mutter doppelt und mehrfach belastet ist, da sie neben der Arbeit noch die ganze Hausarbeit stemmt und dein Vater und du das Konzept der Gleichberechtigung noch nicht verstanden habt.
Ich bin wütend, dass du mit breit geöffneten Beinen dasitzen kannst, ohne von deinem Vater einen Kommentar zu bekommen, während ich zu hören bekommen muss, dass sich so etwas für eine Frau nicht geziemt.
Ich bin wütend, dass du dich auf mich verlässt, die ganzen Termine und andere Planungen im Kopf zu behalten, und du dir damit mehr Denkraum für andere Dinge schaffst.
Ich bin wütend, dass du nach all den Jahren noch nicht weißt, was Mental Workload bedeutet.
Ich bin wütend, dass ich mir immer wieder aufs Neue neue Methoden ausdenken muss, um eine Gleichberechtigung zwischen uns zu schaffen, obwohl es zum gleichen Anteil auch deine Aufgabe ist, eine Gleichberechtigung zu schaffen.
Ich bin wütend, dass du mich als Kämpferin bezeichnest, wo du doch in Depressionen stürzt, wenn ich dich wegen der zwischen uns jahrelang noch existierenden Ungleichberechtigung kritisiere.
Ich bin wütend, dass mir ständig der Gedanke im Hinterkopf herumspukt, dass ich statistisch gesehen wahrscheinlich weniger verdiene als mein Kollege, der dieselbe Arbeit leistet.
Ich bin wütend, dass wir PoC uns um ein Vielfaches mehr anstrengen müssen, damit wir in deinen Augen als ebenbürtig wahrgenommen werden.
Ich bin wütend, dass du mich stellvertretend für meine marginalisierte, diskriminierte Gruppe siehst.
Ich bin wütend, dass jeder meiner Fehler und Misserfolge dafür sorgt, dass meine marginalisierte und diskriminierte Gruppe als Kollektiv in deinen Augen entwertet wird bzw. du dich in deinen Vorurteilen, was unsere Leistung angeht, bestätigt fühlst.
Ich bin wütend, dass ich mir in deiner Gegenwart mehr Mühe gebe, keine Sprachfehler zu machen, damit du nicht weniger von mir hältst und ich durch die Angespanntheit erst recht über meine Worte stolpere.
Ich bin wütend, dass du meine marginalisierte Gruppe als homogen betrachtest, während du deiner Gruppe viel Heterogenität einräumst und differenzierter wahrnimmst.